Geschichten und Sagen: Abberode, ein Kirchturm ohne Kirche



Fährt man im Einetal  aufwärts, trifft man in Harkerode auf die Schinkelkirche. In Alterode trifft man auf die baugeschichtlich interessante St. Veits- Kirche. Hoch ragt der Turm der Stangeröder Kirche aus dem Einetal raus. Dort wo die Straße das Einetal verlässt, findet man auf einer Anhöhe die Kirchturmruine des wüsten Dorfes Volkmannrode. Auch die Gerichtslaube ist noch dort, wo bis 1875 das Sühne- und Rügegericht tagte.

Die Ulbrichtstraße führt hinauf nach Tilkerode. Ein recht kleines Gotteshaus steht im Ort. Schon bald sieht man den Kirchturm von Abberode über die Häuser ragend.

Und dann staunt man - ein Kirchturm ohne Kirche!  

Das schmucke Harzdorf bietet einen erfreulichen Anblick dar. Der Kirchturm in seiner Gestalt ist wahrlich ein Blickfang. Und man sieht auch noch die Reste des Kirchenschiffes, welches 1984 abgerissen werden musste. Durch diese Seitentür betrat wohl einst der Tara das Gotteshaus. Bereits vor langer Zeit hatte es sich gezeigt, dass beim Bau gravierende Fehler gemacht worden waren. Wie aber konnte es dazu kommen? 


Ritzgerode und Steinbrücken gehörten zum Sprengel Abberode. Beide Gemeinden hatten nicht einmal eine Kapelle, auch keinen Betsaal. So ist es nicht verwunderlich, dass die Kirche in Abberode bereits im 18 Jahrhundert zu klein geworden war. Am 2. April 1769 wurde dort die letzte Predigt gehalten. Man war sich einig, dass man ein größeres Gotteshaus bräuchte. Es wurde beraten, wie es geschehen sollte. Man wollte einfach das neue Kirchenschiff um das kleinere alte herum bauen. Das war eine recht gebräuchliche Art für ein solches Vorhaben. 


Ein Zimmermann aus Tilkerode sagte klar und deutlich: ” Wir müssen daran denken, dass auch das Dach größer und damit schwerer wird. Die Mauern haben eine größere Last zu tragen. Stützmauern müssen gesetzt werden”


Schon kam eine andere Stimme: ”Dann dauert der Bau viel zu lange. Wir wollen schnell unser neues Gotteshaus errichten.”


Klar aber war die Forderung des Tilkeröder Zimmermanns:   “Ohne die notwendigen Stützpfeiler wird die Mauer vom Dach auseinander gedrückt werden.”


Noch während man beriet, war ein Fremder hinzugekommen. Er schien ein vornehmer Mann zu sein. Seine Kleidung war anders als die der Bauern und Häusler hier in den Orten am Einetal. Er trug einen weiten wallenden Umhang, der bis auf die Erde reichte. Ein kurzes Schwert, eigentlich nur ein langer Dolch, hing an einem Gürtel, der über die Schulter hing. Auch der Hut, den er auf dem Kopfe hatte, war etwas Besonderes. Ein Birett war es nicht, auch kein Berit. Es war mehr eine Kappe, die in eine Spitze auslief. Und eine lange Pfauenfeder wippte darauf hin und her. Einige Männer wichen etliche Schritte zurück, als der Fremde näher trat, und dieser sagte: ”Wenn ihr meinen Rat hören wollt, so horchet auf. Stützmauern sind nicht nötig. Ihr braucht nur Anker anzulegen. Die halten die Mauern zusammen, wenn das Dach auch noch so schwer ist. Und außerdem spart ihr Geld dabei.   Wenn ihr Stützmauern errichtet, so wie es der Anhaltische euch rät, wird der Bau viel zu teuer. Und die Errichtung der neuen Kirche dauert viel länger als ihr denkt.”


Das leuchtete ein. Man nahm den Rat des Fremden gern an. Bedanken wollten sich die am alten Gotteshaus versammelten Abberöder bei dem unbekannten Mann. Aber der war so plötzlich, wie er gekommen war, auch wieder verschwunden.


Besonders der Tilkeröder Zimmermann war verwundert. Dort, wo der Fremde gestanden hatte, sah es eigenartig aus, gerade so, als hätte ein Pferd seinen Hufabdruck hinterlassen. Er wollte die Männer darauf aufmerksam machen, aber die beachteten den Anhaltischen nicht.

Bald begann der Bau. Die neue Kirche wurde um die alte herum gebaut, jedoch ohne stützende Mauerteile. Bereits am 15.11 des Jahres wurde die erste Taufe im Neuen Gotteshaus gehalten. Und dann kam es so, wie es der Tilkeröder Zimmermann vorausgesagt hatte. Statt nun stützende Teile noch nachträglich zu errichten, legte man Anker an und das nicht nur einmal.

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Am 29.Mai 1972 erfolgte der Antrag auf Abriss des Schiffes. 1984 begannen diese Arbeiten. Der Turm aber blieb erhalten. Es waren erhebliche Mittel notwendig, um ihn zu restaurieren. 1999 war Turmfest in Abberode.

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Wer aber war der Fremde gewesen, der den Abberödern empfohlen hatte, ohne stützende Mauerteile zu bauen? Dieser Ratschlag hatte letztlich dazu geführt, dass das Gotteshaus baufällig wurde und abgerissen werden musste? Sollte es Urian gewesen sein?

Aus der Sammlung: Geschichten, Sagen und Erzählungen aus dem Einetal, 
von Gerhard Dörfer, Haldensleben

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