Werden und Vergehen der Heinrichsburg

Die Eine hat sich im Verlauf vieler, vieler Jahre ihr Bett geschaffen, und die Menschen richteten sich danach. Das wird besonders deutlich, wenn man den Verlauf der Straße von Aschersleben her, an Westdorf vorbei, nach Welbsleben betrachtet. Mancher Autofahrer stöhnt beim Durchfahren des Ortes in Richtung Harkerode. Dabei folgt die Harkeröder Straße lediglich dem Lauf der Eine.

Vergeblich aber sucht man nach der Heinrichsburg bzw nach deren ruinenhaften Mauern. Es gibt sie nicht mehr. Die Burg die einst ein Mann namens Heinrich erbaut hatte, existiert nicht mehr.


In Welsleben, dieses Dorf liegt dicht bei Schönebeck, lebte einst ein junger Bursche namens Heinrich. Er wollte unbedingt ein Baumeister werden. Das war sein größter Wunsch. Und er konnte auf Fürsprache seiner Tante in Salze seine Lehre beginnen. Fleißig, geschickt und umsichtig arbeitete er. Bald sagte ihm sein Meister, dass er ihn in dem kleinen Orte nichts weiter beibringen könne. So ging er auf Wanderschaft, um anderswo noch besser zu lernen.

Unterwegs hatte er von einem Dorfe gehört, dessen Name seinem Heimatort Welsleben ähnlich war: Welbsleben. Da wollte er hin. Überall, wo er bei einem Meister vorsprach, wurde er gern aufgenommen. Und traurig war man, wenn er sein Felleisen packte und weiter zog. Sein Fleiß und sein Können hatten sich schon herumgesprochen. Endlich hatte er Welbsleben erreicht, und er wurde bald im Orte und ringsherum bekannt.

Als er hörte, dass in Aschersleben tüchtige Leute gesucht würden, da man ein großes Gotteshaus errichtete, wollte er dorthin. Ein Köhler warnte ihn: “ Meide am Wege nach Aschersleben die Höhle, die eine Meile vor Aschersleben im Tal der Eine liegt. Dort haust ein Mann, der mit dem Teufel im Bunde steht.”

Obwohl Heinrich gewarnt worden war, ging er zu der Höhle hin. Plötzlich stand ein wild aussehender Mann mit kohlrabenschwarzem Haar und Bart vor ihm und lud ihn ein, mit in die Hölle zu kommen. In der hinteren Wand tat sich ein großes Loch auf und ungeheure Schätze lagen vor Heinrich. Er wurde regelrecht geblendet von der glitzernden Pracht.

Plötzlich erklang die dumpfe Stimme des Unheimlichen Höhlenmenschen: “All diese Schätze sollen dir gehören, wenn du mir in zwölf aufeinanderfolgenden Jahren jeweils in der Johannisnacht einen Krug mit geweihtem Wasser vor die Höhle stellst. Vergisst du es, so wird dein Reichtum vergehen, und du wirst auf ewig unstet sein.” Dann übergab der fremde Mann einen eigenartigen Beutel, aus dem für Heinrich unaufhörlich Reichtum floss.


Heinrich baute sich eine Burg und nannte sie Heinrichsburg. Er lebte von nun an ohne Sorgen glücklich und zufrieden. Nie vergaß er, in der Johannisnacht einen Weihwasserkrug vor die Höhle zu stellen.

Das elfte Jahr war angebrochen. Er geriet in den Bann eines wunderschönen Weibes. Er heiratete sie. In seinem Liebesglück vergaß Heinrich das, was er versprochen. Gleich am Tage nach der Johannisnacht eilte er mit einem Kruge, der mit Weihwasser gefüllt war, zur Höhle. Zu spät!

Die Burgherrin siechte dahin. Die Quelle des Reichtums versiegte. Die Mauern der Burg zerfielen. Bald stürzte der Bergfried ein und begrub Heinrich, der zum Raubritter geworden war, unter sich.


Die Heinrichsburg ist längst zerfallen. Nicht einmal Ruinenreste sind zu sehen. Aber bisweilen sieht man an der Stelle, wo sie einst stand, in der Johannisnacht einen herumirrenden Mann, der dort wachsende rote Blutnelken pflückt. Es wird erzählt, dass es der Geist Heinrichs sei, der die abgezupften Blumen trocknet. Man will ihn dann später in Aschersleben am liebenwahnschen Turm gesehen haben, wo er die getrockneten Blüten Nelken als Heilmittel gegen Unzuverlässigkeit verkauft haben soll.


Niedergeschrieben nach der Sage von der Welbslebener Höhle oder Wie die Heinrichsburg bei Welbsleben entstand. 

Veröffentlicht auf Seite 25  der Broschüre “ Sagen aus Aschersleben und Umgebung”, herausgegeben von der Stadtverwaltung Aschersleben 


Bild von Peter H auf Pixabay

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